Letzte Warnungen vor einer Eskalation in Europa / Inspekteur der deutschen Marine muss gehen

Von Hans-Georg Münster
Die militärische Krise in Europa spitzt sich weiter zu, letzte Warnungen vor einer Eskalation des Konflikts mit Russland verhallen ungehört. So hat die Nato umfangreiche Truppenverlegungen nach Osteuropa angekündigt. Marineschiffe sollen in das Schwarze Meer entsandt werden. Frankreich will Soldaten nach Rumänien schicken, und die Niederlande wollen Kampfflugzeuge in Bulgarien stationieren. Auch in den baltischen Staaten ist ein Ausbau der Nato-Präsenz vorgesehen. Der polnische Außenminister Zbigniew Rau erklärte Mitte Januar bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), wegen der Lage in und um die Ukraine sei die Kriegsgefahr in Europa so groß wie seit 30 Jahren nicht mehr.
In Deutschland findet trotz des Truppenaufmarsches keine innenpolitische Diskussion über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und vor allem über die Interessen der Bundesrepublik statt. Überraschenderweise traute sich nun doch ein ranghoher Vertreter des deutschen Sicherheitsapparats, der Inspekteur der Marine Kay-Achim Schönbach, Wahrheiten über die Krise auszusprechen. Anlass war ein Besuch des Inspekteurs in der indischen Metropole Neu Delhi, wo er auf einer live von YouTube übertragenen Veranstaltung zur Krise in Europa Stellung nahm.
Wörtlich sagte der Vizeadmiral: „Ist Russland wirklich daran interessiert, einen kleinen Streifen ukrainischen Bodens zu haben? Nein, das ist Unsinn. Ich denke, Putin übt wahrscheinlich Druck darauf aus, weil er es tun kann. Und er weiß, dass dass er die Europäische Union spaltet. Doch was er wirklich will, ist Respekt. Er will auf Augenhöhe Respekt. Und – mein Gott – jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet wenig, kostet nichts. Also wenn man mich fragen würde: Es ist leicht, ihm sogar den Respekt zu geben, den er wirklich fordert – und vermutlich auch verdient.“ Die Annexion der Krim durch Russland bezeichnete der Vizeadmiral als irreversibel: „Die Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen.“
Die Äußerungen von Vizeadmiral Schönbach wurden im politischen Berlin entweder zurückgewiesen oder verniedlicht. Die regierungsnahe Zeitung „taz“ nannte den Marineinspekteur „Putins besten Admiral“. Das Staatsfernsehen ZDF zeigte sich enttäuscht, dass Deutschland sich durch Schönbachs Äußerungen wieder einmal als unzuverlässiger Partner des Westens erweise.
Schönbachs Äußerungen konterkarieren natürlich die Position von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), die als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt oberste Vorgesetze des Marine-Inspekteurs ist. Die Ministzerin hatte zuletzt von einer „extrem bedrohlichen Situation“ in Osteuropa angesichts von mehr als 100.000 an der Grenze zur Ukraine zusammengezogenen russischen Soldaten gesprochen. Man sei alarmiert, sehe die Gefahr und werde alles tun, um sie abzuwenden, erklärte die SPD-Politikerin. Schönbach bot nach einem Gespräch mit Generalinspekteur Eberhard Zorn seinen Rücktritt an, der sofort angenommen wurde. Andernfalls wäre er entlassen worden.
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bezeichnete den Rücktritt als folgerichtig. Der Vizeadmiral habe mit seinen Äußerungen die europäische Sicherheitsstruktur und das Völkerrecht in Frage gestellt. „Wer angesichts dieser angespannten sicherheitspolitischen Lage Respekt und Verständnis für Putin suggeriert, unterliegt einer militärischen Fehleinschätzung“, sagte der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte.
Es stellt sich allerdings die Frage, wer einer militärischen Fehleinschätzung unterliegt. Der 1965 geborene Schönbach hat eine militärische Laufbahn bis in höchste Verwendungen hinter sich. Ehe er zu einem der vier höchstrangigen Deutschen Soldaten (Generalinspekteur und Inspekteure der Teilstreitkräfte) wurde, sammelte er zahlreiche internationale Einsatzerfahrungen bei der Marine und kennt daher auch Vertreter ausländischer Streitkräfte. Zudem war er zwei Jahre lang Adjutant des früheren Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan. In dem Amt dürfte er auch umfangreiche diplomatische und politische Erfahrungen erworben und daher genau gewusst haben, dass solche Äußerungen von ihm wie in Neu-Delhi das unverzügliche Ende der Karriere bedeuten. Es ist anzunehmen, dass Schönbach eine ultimative Warnung aussprechen wollte, bevor die Lage in Europa eskaliert. Denn vorher war der Inspekteur nie mit kritischen Äußerungen aufgefallen. In seiner Antrittsrede als Marinechef warnte er dem politischen Mainstream gemäß vor Rassismus und Homophobie; Kritik an unzureichender Ausrüstung, kaputten Fregatten und nicht einsatzbereiten U-Booten war von ihm allenfalls intern zu vernehmen.
Die Warnungen vor einer Eskalation in Europa teilt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der sich hinter Schönbach stellte. Kujat wörtlich: „Wenn ich noch im Amt wäre, hätte ich mich vor Admiral Schönbach gestellt, und ich hätte versucht, seine Entlassung zu verhindern - und zwar mit allen Mitteln.“ Die Kritik an Schönbachs Äußerungen sei zwar in der aufgeheizten Situation verständlich, aber andererseits müsse es doch in aller Interesse sein, zu deeskalieren und zu einer Entspannung mit Russland zu kommen, immer unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Ukraine. „Es kann nicht sein, dass wir immer nur vom Krieg reden und nicht davon, wie ein Krieg verhindert werden kann“, stellte Kujat fest.
Auch wenn Schönbach das nicht direkt ausgesprochen hat, stellt sich bei einer Beurteilung der militärischen Lage immer auch die Frage nach der wirtschaftlichen Situation. Und da sieht es für Deutschland so aus, dass man sich eine Eskalation gegenüber Russland nicht leisten kann. Einige wenige Daten mögen dies erläutern. So bezieht Deutschland 42 Prozent seines Rohöls aus Russland. Das Erdgas kommt sogar zu 55,2 Prozent aus Russland. Es dürfte sogar noch mehr werden, wenn die Bundesregierung weiterhin an ihren Energiewende-Plänen festhält und komplett aus der Atomenergie und aus der Kohleenergie aussteigen und zur Grundversorgung überwiegend Gaskraftwerke nutzen will. Denn über diese benötigten Mengen an Gas verfügt nur Russland, und dafür wäre auch die Öffnung der Pipeline Nord Stream 2 dringend erforderlich.
Gegen diese Öffnung stehen starke amerikanische Interessen. Die USA wollen ihre Exporte an LNG-Gas nach Deutschland erhöhen. Dieser Plan würde bei einer Öffnung von Nord Stream 2 kaum noch zu realisieren sein.
Daher heizen pro-amerikanische Kräfte in Berlin die Stimmung weiter an. Eine besondere Rolle dürfte dabei der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz spielen. Merz ist bekennender Transatlantiker, war Funktionär der proamerikanischen Lobby-Organisation „Atlantik-Brücke“ und für die amerikanische Hochfinanz (Blackrock) tätig. Mit seiner großen rhetorischen Begabung dürfte er Kanzler Olaf Scholz und die regierende SPD, die traditionell eher amerikakritisch ist, vor sich hertreiben – genau in die Arme von US-Präsident Joe Biden, wo die mitregierenden Grünen bereits sind. Die FDP hat traditionell keine Haltung und macht alles mit, solange sie genug Posten in der Regierung bekommt.
Außerdem haben die Berliner Parteien (bis auf die AfD) ein ganz anderes Problem. Sie haben sich mit ihrer Anti-Corona Politik in eine Sackgasse verrannt. Die geplante Impfpflicht stößt auf immer größeren Widerstand, Hunderttausende demonstrieren in ganz Deutschland regelmäßig gegen die Regierung. Die Wirtschaft leidet heftig, die Staatsverschuldung wächst ins Unermessliche. Gebraucht wird ein neues Mega-Thema. Bezeichnend war die Rede von Merz auf dem CDU-Parteitag, in der Themen wie Corona und Impfen gar nicht mehr vorkamen.
In solchen Situationen beginnen Politiker gerne einen Ausflug in die Außenpolitik, entsenden Soldaten, Schiffe und Flugzeuge, um von ihren innenpolitischen Problemen ablenken zu können. Es ist ein Spiel mit dem Feuer.

Quellen: depositphoto, screenshots

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